Testbericht: Papo & Yo

PC-Version, getestet von Timo Schmidt am

Zu viele Kinder müssen Zeugen des Alkoholproblems ihres Vaters werden. Zu viele werden von diesen Erlebnissen für ihr Leben geprägt. Einer ist mutig genug und erzählt nun seine Geschichte – in einer fantasievollen, traumatisierten Art und Weise, wie es nur im Kopf eines heranwachsenden Menschen verarbeitet werden könnte.

Vander Caballero, seines Zeichens seit Jahren Designer bei EA, widmete sich mit Papo & Yo nun einer Thematik, welche uns in seinem Spiel mit auf eine sowohl besondere als auch erschreckende Reise nimmt. Der Schmerz, der sich in einem Kind breit macht, wenn der Vater alkoholisiert brüllt und zuschlägt, obwohl es doch nur Spielen will; der Drang nach Erlösung und Auswege für sein Vorbild und Spielgefährten – all dies findet in diesem Mix aus Plattformer und Adventure eine skurrile aber auch wunderschöne Metapher.

Ein lateinamerikanisches Inception mit Fröschen und Beeren

Quicho, der leidgeplagte Sohn und somit Protagonist des Spiels, findet sich zu Beginn in einer Traumwelt wieder. Eine Traumwelt, welche seinen Charakter und gleichzeitig den Zufluchtsort seiner Kindheit widerspiegelt. Während der Reise durch diese Favela-ähnliche Umgebung trifft Quicho zunehmend auf durchdachte Schalter-Rätsel, welche in Form einer Art weißen Kreidemalerei dargestellt werden. Mal gilt es, eine magische Treppe aus einer zuvor unscheinbaren Wand zu ziehen, mal Kisten in die richtige Position zu bringen um über die Hausdächer der so verschobenen Häuser auf die andere Seite einer Schlucht zu gelangen. Moment – verschobene Häuser? Papo & Yo lässt den Spieler in der Tat seine Umgebung beeinflussen und so im wahrsten Sinne des Wortes sich seinen Weg zu formen. Es werden Wände verschoben, ganze Häuser empor gehoben; ja sogar die Gesetze der Physik lassen sich komplett auf den Kopf stellen, indem man beispielsweise den ganzen Horizont im Stile von Inception anhebt. Vielerorts sind Beeren verteilt, mit deren Hilfe wir Quichos besten Freund – das Monster – durch die Spielwelt locken um so bestimmte Gebiete zu öffnen oder gar durch einen beherzten Sprung auf Monsters Bauch zu erreichen.

Unser großer Freund scheint auf den ersten Blick nur Vorteile mit sich zu bringen, unterliegt in Wahrheit jedoch dem allseits bekannten Fluch der Sucht. Die Sucht nach bunten, quirligen Fröschen. Was auf den ersten Blick nicht weiter als problematisch aussieht, offenbart uns Monsters wahre Grausamkeit unter Froscheinfluss. In manchen Passagen des Spiels schaffen es die Hüpfer, gegen jeglicher Prävention seitens Quicho, ins Maul des orangenen Kolosses und verwandeln diesen kurzerhand in eine wütende, brüllende Dampfwalze. Monster hat in diesem Zustand nur ein Ziel: Quicho verletzen. Da dem jungen Sprössling keinerlei Waffen oder andere Hilfsmittel zur Verfügung stehen, zeigt sich in diesen Situationen die unerbittliche Hilflosigkeit Quichos gegenüber den Wutausbrüchen des Monsters – also quasi die perfekte Metapher zum alkoholisierten Vater, der rücksichtslos um sich schlägt. Dieser Zustand lässt sich nur mithilfe einer blauen Beere beheben, welche meist nicht ohne Aufwand erreichbar ist. Nach und nach zieht der Schwierigkeitsgrad der zu bewältigenden Situationen immer mehr an, lässt jedoch nie Frust aufkommen.

Durch den Mix aus der ständig unvermeidbaren Rage von Monster, den immer schwerer werdenden Verzweigungen der Spielwelt und der magischen Schalterrätsel entsteht eine angenehme Spielspaßkurve. Gerade eben noch waren wir einige Zeit damit beschäftigt, herauszufinden, wie wir die Umgebung nutzen könnten, um eine Brücke auf die andere Seite einer tiefen Grube zu bauen. Plötzlich verfällt Monster in seinen von der Froschsucht getriebenen Wahnsinn und jagt uns kreuz und quer durch die liebevoll gestaltete Spielwelt. Zeit zum Staunen bleibt in solchen Momenten nicht immer, so ist meist das richtige Timing und Betätigen verschiedener Schalter essentiell und wird mit zunehmender Spielzeit immer kniffliger kombiniert.

In unregelmäßigen Abständen gewähren uns sehr stilistische Rückblenden Einblick in Quichos wahres Leben und die grauenvoll prägenden Erinnerungen an seinen Vater, den Trinker. Auf diese Weise wird dem Spieler eine gewisse Verbundenheit zum Jungen beigebracht und dem Spiel stets eine Prise Traurigkeit bei gemischt, um den Ernst der Lage nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Im späteren Spielverlauf trifft Quicho auf Lula, den hilfsbereiten, kleinen Roboter, welcher in Papo & Yo scheinbar die Beziehung zur liebevollen Mutter darstellen soll. Mit Lula und ihren Düsen auf dem Rücken kann er weiter springen und von ihr ansonsten unerreichbare Schalter betätigen lassen.

Bewegende Atmosphäre, technisch zum Davonhüpfen

Die Spielwelt von Papo & Yo besteht überwiegend aus an Brasilien erinnernde Slums mit den dazu gehörenden, Graffiti-besprühten Wellblechhütten und Palmen. Sonnenstrahlen fallen durch die einzelnen Gebäude auf Quichos Körper und schaffen so ein angenehmes Lichtschauspiel. Der grandiose Soundtrack, eigens für das Adventure komponiert, passt sich perfekt den jeweiligen Situationen des Spiels an und könnte das traumhafte Szenario nicht passender untermalen. Die Rückseite der Medaille sind technische Unzulänglichkeiten, die so nicht sein müssten. An vielen Stellen gibt es trotz weit übertrumpfender Hardware störende Ruckelorgien, ausfallende Animationen der Lippen (wenn Quicho beispielsweise Lula ruft) und falsch oder zu großzügig platzierte unsichtbare Wände schränken den Spieler in der freien Bewegung ein; lassen diesen gelegentlich sogar in Abgründe fallen und so sterben. Auch die Steuerung via Maus und Tastatur stellt sich oft als separate Herausforderung heraus und man sollte das Spiel nach Möglichkeit mit einem Controller genießen.

Wertung

Fazit

GC-Wertung
7,0

Papo & Yo erzählt auf einer erfrischende Art und Weise die wundersame und gleichzeitig grauenvolle Reise eines Jungen, der vor seiner leidgeprägten in eine Traumwelt entflieht. Das Zusammenspiel surrealer Veränderungen in der Umgebung und des großartigen Soundtracks geben die Geschichte in ganz großem Stil wieder. Technisch hingegen gibt es leider einige Unzulänglichkeiten, die vermeidbar gewesen wären. Dennoch ist Quichos Reise ein wunderschöner Appell an die Vorsicht bezüglich des Konsums von Alkohol. Besonders als Vater.