Testbericht: Marvel's Spider-Man

PS4-Version, getestet von Timo Schmidt am

Marvels Reinkarnation der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft ging oft schief und die Fangemeinschaft befand sich – zumindest hinsichtlich der Comic-Verfilmungen – stets in einem Zwiespalt. Mit Spider-Man ging der amerikanische Entwickler Insomniac Games nun eine eigene Adaption an und hält die Community seit geraumer Zeit mit viel Spinnen-Action bei Atem. Wir haben ausführlich akrobatisch in New York aufgeräumt und können euch erklären, wieso auch das neuste Abenteuer rund um Peter Parker polarisiert.

Sightseeing im Spinnenanzug

Auch im neuen Abenteuer der Insomniac Games durchstreifen wir die größte Stadt der Welt: New York. Natürlich mitsamt aller aktuellen Sehenswürdigkeiten und dem Avengers Tower. Richtig gehört, so hat der amerikanische Spieleentwickler für den Titel eng mit Marvel zusammengearbeitet. Zwar deckt sich nicht alles 1:1 mit den Filmvorlagen aus dem aktuellen MCU, überraschende Überschneidungen finden jedoch hie und da immer wieder statt.

Konsequent also, dass im Spiel auf eine langatmige Einleitung oder gar Vorgeschichte à la Spinnenbiss verzichtet wurde: Der Anfang des Spiels zeigt den Teenie-Alltag unseres beliebten Protagonisten und geht dann auch noch derart fließend in das Gameplay über, dass es einem schwer fällt ein lautes Jubeln zu unterdrücken. Wenn wir dann auch noch beginnen, uns durch New Yorks schier endlose Häuserschluchten zu schwingen, kennt der Fanboy-ismus kaum Grenzen. Aber nur kaum – doch dazu gleich mehr.

In die Fortbewegungsmechanik und Animationen in Marvel’s Spider-Man floss laut Insomniac beinahe das meiste Herzblut; was man auch spürt. Ungleich anderen Genrevertretern werden wir nicht mit Tastenkombinationen überladen, sondern müssen mit lediglich einer Taste im richtigen Moment ein Spinnenseil verschießen und loslassen – das Seil befestigt sich korrekt an Hauswänden in der gewünschten Blickrichtung. Klingt simpel, macht in der Praxis jedoch so enorm viel Spaß, dass nicht wenige die ersten Stunden frohlockend mit reinem Herumgeschwinge verbringen dürften.

Das Ganze wird durch wunderbare Animationen, etwa für Drehungen in der Luft, Abstoßen von Dächern oder Kunststücke in reinster MCU-Kino-Manier begleitet. Dasselbe gilt für den berauschenden, epischen Soundtrack aus der Feder John Paesanos – welcher bereits für die orchestralische Untermalung von Spielen wie Mass Effect: Andromeda und einiger Kinofilme verantwortlich war. Durch das Zusammenspiel mit einer hochwertigen, deutschen Synchronisation entsteht ein Gesamtbild, welches sich genau in dieser Form auch auf der Leinwand abspielen könnte.

Des einen Freund, des anderen Feind

Sobald der erste Adrenalinschub und der Geschwindigkeitsrausch dann mal vorbei sind, widmet man sich mit großen Erwartungen der Haupthandlung – denn Bösewicht Fisk muss hinter schwedische Gardinen. Was Peter Parker in diesem Kontext allerdings nicht ahnt: Der Unterwelt-Boss hielt mit seinen Machenschaften einen Gros der Kriminalität von New Yorks Straßen.

Dass wir hier nur Pest gegen Cholera tauschen, wird schnell spürbar. Alsbald häufen sich die Überfälle und hie und da sprießen Überfälle und mehr aus dem Boden. Zu unserem Unmut haben wir jedoch nicht nur so manch Oberfiesling (den wir aus Spoiler-Gründen nicht nennen) an unserem Kittchen: Auch ein Teil der Bevölkerung und allen voran „Daily Bugle“-Chefredakteur J. Jonah Jameson können die Spinne im Elastin-Outfit nicht leiden.

Grundsätzlich kommen wir den Oberbösewichten beziehungsweise neue Abteilungen der Story-Ark häppchenweise auf die Spur, während wir zwischendurch Raubüberfälle und Diebstähle stoppen. Hierbei werden bekanntere Schauplätze insbesondere in Cutscenes und Bosskämpfen inkludiert – finden sich ansonsten nur als zu fotografierende Wahrzeichen in der Spielwelt. Wollen wir die Stadt allerdings über eine der ikonischen Brücken verlassen, dreht sich Peter lediglich auf der Stelle um und das Spiel erinnert uns an unsere Verpflichtungen.

Nebenbei haben Freunde und Verwandte wie Tante May auch ihre Probleme und wollen unsere Zuwendungen im Alltag: Im krassen Kontrast zu den MCU-Filmen haben Nebendarsteller in Marvel’s Spider-Man einiges an Tiefe und Handlung zugelegt. So soll Peter seiner letzten verbliebenen Familienangehörigen unter anderem in einem Obdachlosenheim unter die Arme greifen und aufpassen, dass sich seine Ex-Freundin nicht bei ihrem journalistischen Enthusiasmus in etwas verstrickt, das sie nicht bewältigen kann. Dass sich hierbei eine neue Romanze entwickelt, dürfte vorprogrammiert sein.

Getreu dem Heldenalltag gibt es immer wieder kleinere Missionen am Wegesrand, die den nächsten großen Handlungsstrang erst in die Wege leiten. So führt jeder größere (nicht schlecht) inszenierte Bosskampf unweigerlich zur nächsten ruhigen Spielphase – mit Ausreden wie beispielsweise „der Anzug müsse verbessert werden“. Was im Kern erzählerisch vielleicht Sinn ergibt, fühlt sich hier leider konstant wie künstliche Spielzeit-Streckung an.

Die eigentlichen Kämpfe laufen oft nach Schema F ab, werden mit zunehmendem Fähigkeiten-Repertoire jedoch leichter und doch zeitgleich auch hektischer. So können wir nach und nach als Spinnenmann-Fallen stellen, die Zeitlupe aktivieren und mehrere Gegner zeitgleich einspinnen. Klingt alles sehr nützlich, verkommt im Kern und Heldenalltag jedoch immer wieder zum reinen button mashing. Die Kämpfe gegen Bosse laufen dagegen etwas anders ab, kommen oftmals mit langen Quicktime-Events daher. Immerhin sind diese wunderbar cineastisch inszeniert.

Von Selfies und Funktürmen

Die klaren Stärken des Spiels liegen im Umherschwingen in der Stadt der Städte und dem Fanservice in Form von diversen – teils unerwarteten – Auftritten aus dem Marvel Universum. Auch dass der Daily Bugle im Radio regelmäßig Auftritte seines J. J. Jameson gibt, welcher seine herrlich amüsanten Hasstiraden gegen unseren Spinnenmann lostritt; ja das sind Momente, in denen es sich lohnt, Spider-Man-Fan zu sein.

Leider sind diese Momente recht überschaubar und irgendwann fallen einem die Kanten und Macken des Titels auf. So ist ein Auftritt in der Öffentlich als Spider-Man abseits von gelegentlichen Cutscenes zum Beispiel nicht ganz so glorios, wie die Trailer einem vermittelt haben: Wenn die (Klon-)Passanten mal adäquat auf unseren Helden reagieren, wiederholen sich diese Reaktionen oftmals hier und da und so hören wir immer wieder dieselben Voice-Loops und Bewegungsabläufe.

Das fällt leider derart negativ auf, dass wir die ohnehin schon sehr unübersichtlichen und hektischen Kämpfe am Boden hauptsächlich schnell hinter uns bringen wollen, um den Boden wieder Boden sein zu lassen. Und hier keimt leider auch schon die andere große Kritik auf: Die Kämpfe könnten allesamt 1:1 in dieser Form in der Batman-Reihe vorkommen; sind indes jedoch viel hektischer aufgebaut. Ein Vertippen der Tastenkombi bremst in Spider-Man nicht nur die Combo-Anzeige aus – Peter fängt sich schnell mal ein paar kritische Kugeln ein und der Kampf darf von vorne begonnen werden.

Ähnliches Prinzip finden wir in den (recht trögen) Schleichpassagen: Nur der kleinste Fehler kann schon dazu führen, dass Geiselnehmer ihre Gefangenen erschießen und uns das Spiel dann konsequent dazu zwingt, die ganze Mission von Neuem zu beginnen. Dass wir zwischen den wirklich wichtigen und spannenden Passagen dann noch Funktürme (Far Cry lässt grüßen) aktivieren müssen, damit die Karte aufgedeckt wird – nun, dieses Urteil überlasse man jedem einzelnen. Anzüge und Fähigkeiten werden im Großen und Ganzen hauptsächlich durch Sammeln von verstreuten Rucksäcken und das Aufräumen von als Baustellen getarnte Brawl-Arenen freigeschaltet.

Wäre alles sicherlich kein Problem, wenn das Spiel einen an den ruhigen Stellen zwischen den wichtigen Story-Gliedern nicht dazu zwingen würde. Spoiler: Das tut es gelegentlich bis zum Abschluss der Handlung nach etwa 20 Stunden Spielzeit.

Wertung

Positiv

  • Großartige Animationen, insbesondere beim Schwingen
  • Fanservice wird ganz groß geschrieben
  • Toller, antreibender Soundtrack
  • Authentisch inszenierte Charaktere

Negativ

  • Typische, wiederkehrende Open-World-Aufgaben
  • Hektisches und unübersichtliches Kampfsystem
  • Handlung nimmt erst gegen Ende Fahrt auf
  • Austauschbares, repetitives Stadtleben
  • Schleichpassagen künstlich erschwert

Fazit

GC-Wertung
7,0

Marvels Spider-Man ist ganz großer Fanservice, der im Kern viel Spaß und Freude als frecher Spinnenmann mit feschen Sprüchen liefert. Leider leidet das Gesamtbild sehr unter der Handlungs-Struktur und richtig Fahrt nimmt diese auch erst gegen Ende auf. Davor schlägt sich Peter Parker viel zu sehr mit Funktürmen, verhängnisvollen Schleichpassagen und unübersichtlichen Straßenschlägereien herum.

Zwischendurch wird die meiste Zeit am Spinnenseil verbracht, was sich auch schnell als das unterhaltsamste Spielelement herausstellt. Der Rest ist abgesehen von toll inszenierten Cutscenes, Bosskämpfen und Protagonisten eher Open-World-Einheitsbrei.

Vielen Dank an ToLL Relations für die Bereitstellung des Testmusters.