Testbericht: Wolfenstein II: The New Collossus

PC-Version, getestet von Florian Merz am

B.J. Blazkowicz ist zurück oder war viel mehr nie wirklich weg. Schon seit über 30 Jahren wütet sich der amerikanische Freiheitskämpfer durch Schlösser, über Schlachtfelder und tritt dabei jedem Nazi mit Freuden dermaßen gerne in den Hintern, dass selbst abseits des Bildschirms noch Körperteile zu finden sind. Neu im Jahr 2017 ist aber, dass gemäß diverser Aussagen einiger US-Anhänger bzw. Serien-Fans ein Nazi nicht unbedingt etwas Schlechtes sei. "Bitte was?", möchte man diesen Individuen entgegenbrüllen, gerade als Europäer und noch mehr als Deutscher. Jedoch geben derartige Äußerungen eben jenen Gemütszustand wieder, der seit oder sogar noch vor der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten in gewissen Völkergruppen vorherrschte. Davon jedoch unbeeindruckt liefert Bethesda einmal mehr ein grandioses Shootererlebnis ab, das aber aufgrund der Thematik und der gegenwärtigen politischen Situation einen gewissen Brisanz birgt. 

Als Freiheitskämpfer hat man es nicht leicht. Kaum ist der vermeintliche Superschurke zur Strecke gebracht, tauchen an jeder Ecke unzählige neue und noch gefährlichere Feinde auf. So zumindest dürfte es B.J. Blaskowicz gehen, der, nicht einmal fünf Minuten nach der erfolgreichen Bekämpfung seines vermeintlichen Erzfeindes in Wolfenstein: The New Order, mit aufgeschlitztem Bauch und herausquellenden Gedärmen eigentlich schon innerlich auf ein Wiedersehen mit seinem Schöpfer eingestellt ist, doch noch und irgendwie von seinen standhaften Mitstreitern am Leben gehalten wird. Dann, kaum halbwegs wieder auf den Beinen, bzw. Rädern, trifft er einmal mehr auf eine alte und gefährliche Bekannte und muss sich erneut ins gefährliche Kampfgetümmel werfen.

Wolfenstein II: The New Colossus knüpft nahtlos an die Geschehnisse des Vorgängers an und lässt auch wie jener Titel keinen virtuellen Stein auf dem anderen. Nachdem die Geschehnisse von The New Order im Schnelldurchlauf über den Bildschirm flimmerten, wird man als Spieler direkt und ohne Umschweif einmal mehr in den chaotischen Kampf mit den Naz ... ich meine dem Regime geworfen. B.J. erwacht auf dem von dem Regime gekaperten U-Boot und muss sich augenblicklich und wieder einmal den feindlichen Soldaten stellen. Zunächst jedoch weniger agil als gewohnt, bewegt sich der schwer in Mitleidenschaft gezogene Soldat mit einem Rollstuhl durch die schlauchigen Gänge des Unterwasserkolosses. Doch selbst nach der erfolgreichen Bekämpfung der feindlichen Truppen im und auf der Oberfläche des Unterseefahrzeugs, bleibt B.J. einmal mehr nicht von den Grausamkeiten seines Gegners verschont und erlebt aus nächster Nähe den tragischen Tod eines liebgewonnenen Mitstreiters.

Nieder mit dem Regime

Das kann der ehemalige Armyangehörige selbstverständlich nicht auf sich sitzen lassen und entscheidet sich, mit seinen verbliebenen Verbündeten, den Krieg nach Hause, nach Amerika zu tragen. Fürs Erste wird er die europäischen Schlachtfelder hinter sich lassen und seinen Landsleuten bei der Befreiung von den Faschisten unter die Arme greifen. Doch gestaltet sich dieses Unterfangen schwerer heraus, als angenommen. Das Regime hatte nach der Eroberung der Staaten umgehend damit begonnen, das Land komplett umzukrempeln, unerwünschte Menschen zu verhaften und die Bewohner mittels Propaganda zu indoktrinieren.

Und direkt hier liegt auch der virtuelle Hund begraben. Surft man dieser Tage durchs Internet und möchte sich bezüglich dem neuen Wolfenstein-Ableger informieren, stolpert man unweigerlich über Artikel auf Spiegel Online, SZ oder FAZ. Diese Texte handeln weniger vom Gameplay, den Mechaniken oder der Optik, vielmehr steht das Spiel aufgrund seiner Inhalte und der Darstellung einer vermeintlich bizarren Variante des Dritten Reiches in der Kritik oder eben auch nicht.

Wie gestern so heute 

Während in den Vereinigten Staaten das Spiel von Anhängern der "Alt-Right"-Bewegung und anderen rechten Gruppierungen für seine konsequente Antihaltung gegenüber den Idealen des Nationalsozialismus kritisiert wird, rückt hierzulande besonders die Zensur in den Diskussionsmittelpunkt. Noch immer gelten Videospiele vor dem Gesetzt nicht eindeutige als Kunstgegenstände und dürfen in Bezug auf die Paragrafen 86 und 86a des Strafgesetzbuches nicht auf die visuelle Darstellung von nationalsozialistischen Symbolen wie das Hakenkreuz, SS-Runen oder beispielsweise die Figur Adolf Hitlers selbst zurückgreifen. Entsprechend ist nichts davon im fertigen Spiel zu finden und sollte mal eines für die deutsche Spielfassung vergessen werden, wie das beim Vorgänger von The New Order der Fall gewesen ist, wird die gesamte Pressung aus dem Verkehr gezogen oder komplett abgeändert, erneut auch im gegenwärtigen Wolfenstein geschehen.

Doch trotz der Anpassung für das Deutsche Gesetz, bleibt es für den Spielenden unverkennbar, dass das Regime im Grunde das Dritte Reich spiegelt und auch deren Akteure, explizit Herr Heiler (Hitler), vertreten sind. Viel wird auch darüber geschrieben, das im Gegensatz zu Spielen wie das eben erst kürzlich veröffentlichte Call of Duty: World War II, bei dem ebenfalls jegliche nationalsozialistische Symbolik für den deutschen Markt entfernt wurde, nicht rein auf Kampfhandlungen mit deutschen Truppen basiert, sondern auch viel von der Lebensweise und dem täglichen Leben mit oder gegen das Regime gezeigt und thematisiert wird. Jedoch "vergisst" oder klammert Wolfenstein: The New Colossus viele historisch wichtige wie traurige Tatsachen und Taten der Nationalsozialisten aus, allem voran der Holocaust. Zwar werden Menschen gefasst, getötet oder verschwinden spurlos von der Bildfläche, dennoch bleiben Konzentrations- und Arbeitslager unerwähnt, unter anderem.

Zensur: Ja oder Nein?

Auch bei diesem Spiel wird erneut die Frage in den Raum geworfen, warum nicht endlich die Zensur für Videospiele aufgehoben wird. Doch selbst wenn Befürworter ihr Ziel erreichen sollten und Spiele wie Wolfenstein ähnlich der Filme von Indiana Jones oder Inglorious Basterds mit Nazisymbolik aufwarten dürfen, muss die Frage, wie Spiele mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten umgehen müssen, geklärt werden. Eine Diffamierung der Geschehnisse im Dritten Reich soll und darf unter keinen Umständen zugelassen werden. Entsprechend kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden, wie der Aspekt Zensur- und Nazisymbolik in der Zukunft der Videospiele aussehen wird. Es steht jedoch außer Frage, dass ein verantwortungsvoller Umgang Pflicht ist, so oder so.

Das Spiel versucht dennoch zu zeigen, wie schlimm und abgrundtief böse das Regime ist und agiert: Menschen werden auf offener Straße erschossen, ohne Grund von der Gestapo (oder wie das spielerische Äquivalent auch genannt wird) verhaftet und verschleppt oder der Rassismus offen zur Schau gestellt und von den Besatzern der USA gefördert, anstatt unterbunden. Wolfenstein ist kalt, rau und düster, wie die echte Welt vor 77 Jahren es schon war.

Wertung

Positiv

  • Herrvoragendes Trefferfeedback
  • Spannende Schusswechsel, bei denen keine Langeweile aufkommt
  • Story weiß auch abseits der Schlachtfelder mit glaubwürdigen Charakteren zu überzeugen

Negativ

  • Deutsche Sprachausgabe passt oftmals nicht zur Animation
  • Figuren agieren ab und zu sehr steif
  • Stellenweise kantige Spielwelt 

Fazit

GC-Wertung
9,0

Wolfenstein II: The New Colossus ist ein hervorragender Shooter, dessen Mechaniken sich im Vergleich vom Vorgänger kaum abheben, was er aber auch nicht muss. Noch immer fühlt sich die Reihe seit der Runderneuerung vor X Jahren frisch an und lässt jeden Shooterfan vor Freude jauchzen. Besonders Besitzer entsprechender Grafik-Hardware oder Pro/X-Konsolen, dürfen sich auf einen optischen Leckerbissen freuen. Also im Grunde ein Anwärter für den Titel als bester Shooter des Jahres. Dennoch wird das Spiel viel weniger für seine technische und inhaltliche Klasse im Gedächtnis haften bleiben, vielmehr aufgrund der Diskussionen und der politischen Situation, in der das Spiel veröffentlicht wurde.

Vielen Dank an Bethesda für die Bereitstellung des Testmusters.